Risiken und Komplikationen der Anästhesie / Narkose
Die moderne Anästhesie erlaubt es, medizinische Eingriffe sicher, schmerzfrei und in angenehmer Umgebung durchzuführen. Dabei kommen unterschiedliche Verfahren zum Einsatz, die je nach Art des Eingriffs und Gesundheitszustand der Patient:in individuell ausgewählt werden. Trotz aller Sorgfalt und technischer Überwachung können unerwünschte Wirkungen oder Komplikationen auftreten – so wie bei jeder medizinischen Behandlung. Manche sind harmlos und vorübergehend, andere sind sehr selten, aber potenziell schwerwiegend. Dieses Kapitel gibt Ihnen einen umfassenden Überblick über mögliche Risiken und Komplikationen der verschiedenen Anästhesieformen, auch wenn gewisse Komplikationen nur sehr selten oder vorübergehend auftreten.
1. Allgemeine Risiken – unabhängig vom Anästhesieverfahren
Es gibt Nebenwirkungen, die bei jeder Art von Anästhesie auftreten können – unabhängig davon, ob es sich um eine Allgemeinanästhesie (Vollnarkose), eine Regionalanästhesie (Teilnarkose) oder eine Sedierung handelt.
Häufige, meist harmlose Nebenwirkungen:
- Übelkeit und Erbrechen (PONV, post-operative nausea and vomiting): Besonders nach einer Vollnarkose möglich, kann medikamentös gut behandelt werden.
- Kältezittern (Shivering): Ein Zittern nach dem Aufwachen, bedingt durch Temperaturveränderungen oder Medikamente.
- Hautausschlag, Juckreiz: Oft als Nebenwirkung bestimmter Medikamente wie Antibiotika und Schmerzmittel.
- Müdigkeit oder Benommenheit: Kann einige Stunden anhalten.
- Harnverhalt: Schwierigkeiten beim Wasserlassen, insbesondere bei Regionalanästhesie.
- Kopfschmerzen oder Rückenschmerzen: Besonders nach rückenmarksnahen Anästhesien.
- Heiserkeit oder Halsschmerzen: Durch die Beatmung bei Vollnarkose bedingt.
Seltener auftretende Risiken:
- Allergische Reaktionen: Auf Medikamente, Pflaster, Desinfektionsmittel oder Latex – reichen von Hautausschlag bis zu schwerer Atemnot.
- Blutergüsse oder Infektionen an Einstichstellen: Zum Beispiel am Venenzugang oder bei Kathetern.
- Nervenirritationen: Kurzzeitige Missempfindungen oder Kribbeln, selten auch länger (mehrere Wochen bis Monate) anhaltend.
- Thrombose und Embolie: Falls sich in einem Gefäss ein Gerinnsel bildet (Thrombose) und dieses Gerinnsel anschliessend fortgetragen wird, kann dies schwerwiegende und teils lebensgefährliche Folgen haben (bswp. Lungenembolie, Schlaganfall, Herzinfarkt).
- Kurzfristige Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, unabhängig von der Art der Anästhesie.
- Delir: Das Risiko, ein Delir rund um die Operation zu erleiden hängt stark vom Gesundheitszustand ab. Besonders gefährdet sind schwerkranke, vulnerable und betagte Patient:innen.
Sehr seltene, aber schwerwiegende Komplikationen:
- Schwere anaphylaktische (allergische) Reaktionen bis hin zum Herz-Kreislauf-Schock
- Bleibende Nervenverletzungen und -schäden, Querschnittslähmung
- Chronische Schmerzen und bleibende Lähmungen nach schwerwiegenden Nervenverletzungen, Blutergüssen oder Entzündungen.
- Unerwartet auftretende Komplikationen wie Krampfanfälle, Herz-, Kreislauf-, Atem- und Organversagen, die unter Umständen zu schwerwiegenden Dauerschäden (bspw. Hirnschädigung, Lähmungen, andere Organschäden) bis hin zum Tod führen
- Narkosefieber (maligne Hyperthermie): Eine genetisch bedingte, sehr seltene lebensbedrohliche Stoffwechselentgleisung mit drastischem Anstieg der Körpertemperatur und Muskelstarre
2. Spezifische Risiken – je nach Anästhesieverfahren
2.1 Allgemeinanästhesie („Vollnarkose“)
Bei einer Vollnarkose wird der gesamte Körper in einen tiefen schlafähnlichen Zustand versetzt. Sie spüren nichts vom Eingriff, atmen meist über eine Maske, einen Beatmungsschlauch (Tubus) oder eine Kehlkopfmaske.
Mögliche Komplikationen:
- Heiserkeit, Halsschmerzen, Schluckbeschwerden
- Erhöhtes Risiko für Übelkeit und Erbrechen (PONV)
- Druckstellen (inkl. Nervenirritationen) und Verletzungen im Mund-Rachen-Bereich sowie entlang des Atemwegs durch Einführen der Beatmungshilfen
- Krampfartiger Verschluss der Luftwege (Akuter Asthmaanfall, Laryngo- und Bronchospasmus): Lässt sich in der Regel rasch mit Medikamenten beheben.
- Zahnschäden bis hin zum Zahnverlust: Vor allem bei bereits lockeren Zähnen und Karies sowie vorhandenen Kronen, Brücken, gelockertem Zahnersatz oder Prothesen
- Hornhautschäden am Auge: Wenn der Augenschluss während einer Narkose nicht komplett ist oder wenn trotz ausreichendem Augenschluss das Auge während der Narkose zu wenig befeuchtet ist, kann es zu schmerzhaften Hornhautschäden kommen. Diese heilen in der Regel folgenlos ab.
- „Awareness“: Extrem seltenes teilweises Wachsein während des Eingriffs
Sehr seltene, aber schwerwiegende Komplikationen:
- Schwere Stimmbandverletzungen, bleibende Stimm- und Schluckstörungen sowie Missempfindungen an der Zunge, Atemwegsverengung
- Aspiration, schwere Lungenentzündung und Lungenversagen: Eindringen von schädigendem Mageninhalt in die Lunge, besonders bei nicht nüchternen Patienten
- Schwerwiegende Probleme bei der Atemwegssicherung und künstlichen Beatmung
- Schwere Störungen des Herzrhythmus, Kreislauf und Herz-Kreislaufstillstand
2.2 Rückenmarksnahe Regionalanästhesie (Spinal-, Peridural-, Paravertebralanästhesie)
Hierbei wird ein Betäubungsmittel in die Nähe des Rückenmarks gespritzt, um die Schmerzempfindung in Beinen, Unterbauch, Becken oder einer weiteren spezifischen Körperregion zu blockieren.
Mögliche Komplikationen:
- Unzureichende Wirkung: Bei ungenügender Wirkung können jederzeit Schmerzmittel zugefügt werden oder eine Allgemeinanästhesie eingeleitet werden.
- Rückenschmerzen: Kurzfristig nach der Punktion.
- Probleme beim Wasserlassen, Harnverhalt: Kann das Einführen eines Blasenkatheters erforderlich machen.
- Reizung von Hirnnerven mit in der Regel vorübergehenden, selten auch bleibenden Seh- und Hörstörungen sowie Kopfschmerzen.
- Starke Kopfschmerzen (postpunktionell aufgrund Verlust von Hirnwasser, «Liquorleck»): Können einige Tage anhalten, sind aber behandelbar (Einspritzen von Eigenblut an Punktionsstelle).
Sehr seltene, aber schwerwiegende Komplikationen:
- Infektionen: Im Bereich der Wirbelsäule, z. B. Hirnhautentzündung (Meningitis, Meningoradikulitis) oder Abszess, der zu Druck auf Nerven führen kann.
- Blutung, Bluterguss (Hämatom) im Bereich des Rückenmarks oder der austretenden Spinalnerven: Kann zu Druck auf Nerven führen.
- Hirnblutung, Thrombose der Hirnvenen mit möglichen Dauerschäden (z.B. Gehirnschaden).
- Verletzung mit dauerhaften Nervenschäden, bleibenden Lähmungen (z.B. Störungen der Blasen-/Darmfunktion) oder im Extremfall bis hin zur Querschnittslähmung
2.3 Periphere Regionalanästhesie (z. B. Nervenblockaden an Hals, Schulter, Arm, Rumpf, Becken und Bein inkl. Intravenöse Regionalanästhesie)
Einzelne Nerven oder Nervengeflechte werden gezielt betäubt – z. B. in der Achselhöhle, Leiste oder am Oberschenkel.
Mögliche Komplikationen:
- Unzureichende Wirkung: Bei ungenügender Wirkung können jederzeit Schmerzmittel zugefügt werden oder eine Allgemeinanästhesie eingeleitet werden.
- Schmerzen an der Einstichstelle
- Kribbeln, Taubheitsgefühl oder Muskelschwäche im betäubten Bereich
- Vorübergehende Gefühls- und Bewegungsstörungen
- Atem- und Schluckbeschwerden, Heiserkeit sowie hängendes Augenlid (Horner Syndrom) insbesondere bei Blockaden am Hals und der Schulter
Seltene, aber relevante Risiken:
- Lungenkollaps (Pneumothorax) bei Punktion im Hals-, Schulter- und Brustbereich.
- Infektionen im Bereich der betäubten Nerven.
- Blutung, Bluterguss (Hämatom) im Bereich der betäubten Nerven. Kann zu Druck auf Nerven führen.
- Verletzung mit dauerhaften Nervenschäden bis zu bleibenden Empfindungsstörungen, Lähmungen oder chronischen Schmerzen.
- Krämpfe und Bewusstlosigkeit, wenn das Betäubungsmittel versehentlich in ein Blutgefäss gelangt.
2.4 Sedierung („Dämmerschlaf“)
Eine Kombination aus beruhigenden und schmerzlindernden Medikamenten, ohne vollständige Narkose.
Mögliche Risiken:
- Unzureichende Wirkung: Bei ungenügender Wirkung können jederzeit Schmerzmittel zugefügt werden oder eine Allgemeinanästhesie eingeleitet werden.
- Atemdämpfung bis Atemstillstand
- Unklare Erinnerung an den Eingriff
- Übelkeit, Müdigkeit, Verwirrtheit
2.5 Lokalanästhesie
Betäubung einer kleinen Körperstelle – z. B. für eine Hautnaht – meist ohne zusätzliche Risiken. Nur in Ausnahmefällen:
- Unzureichende Wirkung: Bei ungenügender Wirkung können jederzeit Schmerzmittel zugefügt werden oder eine Allgemeinanästhesie eingeleitet werden.
- Allergische Reaktionen
- Lokale Infektionen
3. Risiken zusätzlicher Massnahmen im Rahmen der Anästhesie
Bei bestimmten Eingriffen oder Vorerkrankungen können zusätzliche Massnahmen notwendig sein:
- Arterienkanüle: Blutung, Bluterguss, Gefässverschluss, Nervenschaden.
- Zentralvenöser Katheter: Blutung, Bluterguss, Thrombose, Nervenschaden, Infektion, Lungenkollaps, Luftembolie.
- Blasenkatheter: Harndrang, Infektion, Blutung, später mögliche Harnröhrenverengung.
- Bluttransfusion: Unverträglichkeitsreaktion, sehr selten Infektion oder Lungenschäden.
- Eisengabe intravenös: Unverträglichkeitsreaktion, Allergien, Hautverfärbung an der Einstichstelle.
- Transösophageale Echokardiographie (Herzultraschall über die Speiseröhre, Schluckecho): Schluckbeschwerden, Verletzungen von Rachen, Speiseröhre und Magen.
4. Lagerungsschäden und andere seltene Komplikationen
Während längerer Operationen kann die für die Operation notwendige Lagerung des Körpers zu Druckstellen an Haut, Gewebe und Organen, Nervenquetschungen oder Gelenkproblemen führen. Durch Druck, Zug oder Überstreckung an Nerven kann es zu Schädigungen an Nerven von Gefühlsstörungen bis hin zu Lähmungen kommen. Ebenfalls durch erhöhten Druck in der Augenregion kann es – vor allem bei langen Operationen – zu Sehstörungen oder sehr selten zu bleibenden Sehverlusten kommen. Besonders gefährdet für Lagerungsschäden sind spezielle Lagerungen wie z.B. Seitenlage, Bauchlage, Steinschnittlage oder kopfferne Lagerungen (die Anästhesist:in hat keinen Zugang zum Kopf). Meist bilden sich diese Beschwerden innerhalb weniger Monate zurück, können selten aber auch von Dauer sein. Diese Risiken werden durch spezielle Lagerungshilfen und regelmässige Kontrollen minimiert, sind aber nicht ganz auszuschliessen.
5. Was Sie zur Risikovermeidung beitragen können
- Ehrlich im Aufklärungsgespräch: Informieren Sie das Anästhesieteam über Ihren Gesundheitszustand, Allergien, Medikamente und frühere Erfahrungen.
- Nüchtern bleiben: Bitte beachten Sie die Anweisungen zur Nüchternzeit – dies senkt das Risiko einer Aspiration und schweren Lungenentzündung erheblich.
- Anweisungen zu Medikamenten befolgen.
- Verhalten nach dem Eingriff: Nach ambulanter Narkose dürfen Sie für 24 Stunden nicht aktiv am Strassenverkehr teilnehmen oder Maschinen bedienen. Sie sind in dieser Zeit geschäftsunfähig. Zudem müssen Sie zu Ihrer Sicherheit von einer urteilsfähigen, erwachsenen Person betreut werden.